»Eine ganze Branche steht zu Unrecht am Pranger«

Distributoren sind sauer: Ab 1. Juli tritt neues Steuerrecht für den Handel mit ICs in Kraft

29. Juni 2011, 17:40 Uhr | Karin Zühlke
Georg Steinberger, FBDi: »Eine ganze Branche steht zu Unrecht am Pranger. Das verbitten wir uns ausdrücklich.«

Zum 1. Juli tritt in Deutschland ein neues Steuergesetz für den Handel mit ICs in Kraft: Danach werden ICs - und Mobiltelefone – künftig nach dem Reverse-Charge-Verfahren besteuert. Dass die IC-Branche ins Visier des Bundesfinanzministeriums geraten ist, liegt am angeblich zunehmenden Umsatzsteuerbetrug beim Handel mit CPUs und Speicher-ICs.

Betroffen von dem neuen Gesetz (§ 13 b, Absatz 2, Nr. 10 UStG) ist die gesamte IC-Lieferkette, also nicht nur die Hersteller von ICs, sondern auch Distributoren und deren Kunden, beispielsweise Auftragsfertiger. »Das Das Reverse-Charge-Verfahren ist die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den unternehmerischen Leistungsempfänger«, so die juristische Definition. Einfach ausgedrückt heißt das: Wer den Vorsteuer-Abzug beantragt, weißt in Zukunft auch die Mehrwertsteuer aus. Das Gesetz gilt ab einer »Bagatellgrenze« von 5000 Euro. Dieses Verfahren ist an sich nichts Neues und bereits aus anderen Branchen, beispielsweise dem Recycling und der Energiewirtschaft, bekannt. Auch andere EU-Staaten wie UK besteuern teilweise nach dem Reverse-Charge-Verfahren. Für Ärger in der Branche sorgt allerdings die »Hauruck-Aktion«, mit der die Regelung in Deutschland innerhalb weniger Wochen auf den Weg gebracht wurde: Am  1. Juni verabschiedete der Bundesrat das Gesetz und bereits zum 1. Juli (!) sollen die Unternehmen ihre Abrechnungsprozesse angepasst haben. Der Prozess an sich ist weniger das Problem, aber die extrem enge Zeitschiene empfinden viele Branchenvertreter als Schikane: »Der administrative Aufwand ist besonders für kleine Unternehmen enorm. »Wir brauchen mehr Zeit, um die Neuregelung in unsere Systeme zu implementieren und mehrwertsteuerpflichtige Geschäfte von nicht mehrwertsteuerpflichtigen Geschäften zu trennen«, fordert Georg Steinberger, Vorsitzender des Fachverbandes der Bauelementedistribution (FBDi). Der FBDi und weitere Industrie-Verbände hatten sich mit dieser Forderung an das Bundesfinanzministerium gewandt, bislang allerdings ohne Erfolg: Ein Aufschub, so eine Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums, sei definitiv nicht möglich.  

Für Unmut sorgt zudem die Willkür, mit der das Reverse-Charge-Verfahren jetzt auf die Elektronikbranche angewendet wird. Zwar sei es verständlich, dass die Regierung Steuerbetrug eindämmen wolle, erklärt Steinberger. »Das rechtfertigt allerdings noch lange nicht, eine ganze Branche zu Unrecht an den Pranger zu stellen und mit Steuerbetrug in Verbindung zu bringen. Wir verbitten uns das ausdrücklich.« Hier, so Steinberger, fehle es den Behörden an der nötigen Sensibilität gegenüber der Industrie. Das Bundesfinanzministerium macht jedenfalls keinen Hehl daraus, dass das Reverse-Charge-Verfahren im Wesentlichen dazu dient, »Umsatzsteuerbetrug zu bekämpfen«.  

Wenig Sachverstand bei den Behörden

Unklar sind auch noch einige Details der Neuregelung: Weder definiert das Gesetz den Begriff IC, noch ist klar, welche Parameter für die Definition eines ICs herangezogen werden sollen. Eine eindeutige Zuordnung könnte beispielsweise über die bestehenden Zolltarifnummern erfolgen. Die sollen aber nach Aussage des Ministeriums nicht zur Identifizierung der betroffenen Produkte dienen. Einen Gegenvorschlag zur Klassifizierung gibt es von der Bundesbehörde bis dato aber auch nicht.

Im Prinzip gilt das Gesetz also erst einmal für alle Halbleiter, außer diskrete Schaltungen. Im Zweifel das Gesetz »lieber zu viel als zu wenig anwenden«, verlautbarte ein Mitarbeiter des  Bundesfinanzministeriums in einer ersten Stellungnahme gegenüber dem FBDi. Dass der Gesetzgeber hier wenig Sachkenntnis bewiesen hat, ist offensichtlich: Denn nur gut 20 Prozent der in Europa gehandelten Halbleiter entfallen auf die ins Visier der Steuerfahnder geratenen CPUs und Speicher-ICs. Die klassischen »Industrie-ICs«, z. B. Analog-ICs oder Power-Management-ICs, waren von den Steuermauscheleien überhaupt nicht betroffen, werden aber nun steuerrechtlich über einen Kamm geschoren. Es dürfte wohl davon auszugehen sein, dass dem Finanzministerium die Unterschiede gar nicht klar waren bzw. sind.  

Untersuchungen der Bundesregierung hatten ergeben, dass der Steuerbetrug und die Steuerausfälle durch eine Schwäche des derzeitigen Mehrwertsteuersystems gefördert werden, denn Das Recht auf Vorsteuerabzug besteht auch dann, wenn der Leistungserbringer die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an den Fiskus abführt. Neu ist dieses Problem aber nicht. Die Bundesregierung versuchte bereits 2008, ein generelles Reverse-Charge-Verfahren auf EU-Ebene durchzusetzen, aber aufgrund der Vorbehalte einiger Mitgliedsstaaten blieb es beim Versuch. Nun haben die deutschen Steuerfahnder jüngst vor allem Händler von Mobiltelefonen, Mikroprozessoren und Speicher-ICs als schwarze Schafe identifiziert. Eine Erklärung, warum das Gesetz deshalb in einer Nacht- und Nebelaktion für die komplette deutsche IC-Branche ausgeweitet wurde, bleiben die Berliner Entscheidungsträger der Elektronikbranche bis auf weiteres schuldig. (zü) n

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